ist nicht so leicht wie ausklinken.
ich bin jetzt seit vier wochen ausgeklinkt. nächste woche werde ich mich wieder einklinken.
das ist schwieriger.
ganz besonders jetzt, wo fräulein möchtegernwindhund angefangen hat, brombeeren zu pflücken.
ganz vorsichtig greift sie mit spitzen zähnen und gebogener nase um die stacheln der pflanze herum, um an das dunkle süß zu gelangen.
wofür das jetzt hier wichtig ist?
für nix. nur für mein schmunzelndes herz.
was geht in – nennen wir ihn der einfachheit halber: herrn sonzag – in diesem mann, herrn sonzag, vor?
nach der kurzen flucht ins ostfriesische sitzen wir letztmalig am hotelfrühstückstisch. nein, im hotel sind wir nicht abgestiegen, aber die ferienwohnung hat allen komfort: der hund darf rein, rauchen darf man und es gibt ein frühstück im benachbarten hotel.
dort haben alle zweier-, dreier, vierer- und fünferkombinationen der gästepaarungen einen eigenen tisch, um dort eier, melonen und käse-ecken auszubreiten. heute nicht. da haben wir pech – oder auch glück: die kleinen tische sind besetzt, wir teilen mit dem ehepaar sonzag einen großen tisch. dieser ist so lang, dass man die beiden paare einander gegenüber, an den längsseiten des tisches postiert.
so sind wir in der einzigartigen position, die essgewohnheiten der mittischnachbarn zu beobachten. frau sonzag ist feinfühlig und daher bereits mit meinem ersten irritierten blick ebenfalls irritiert und zudem peinlich berührt. ich – bzw. wir – haben ihren mann im auge.
es ist völlig in ordnung, dass er mit ca. 70 seine haare braun färbt und seinen kugelbauch im baumwollshirt zur geltung bringt.. weniger in ordnung ist es, dass er seine haare nicht pünktlich nachfärbt. aber egal.
herr sonzag hat ein geöffnetes körnerbrötchen vor sich auf dem teller liegen und probiert, ob man es mit dem messer in kleine stücke schneiden kann.
man kann nicht.
er probiert erneut, mit seinem frühstücksmesser eine ecke von der trockenen brötchenhälfte abzuschneiden. frau sonzag, frau rosmarin und herr rosmarin schauen ihm irritiert dabei zu. es gelingt ihm nicht. also säbelt er mit mehr kraft, aber das hilft auch nicht. frau sonzag schaut hilfesuchend aus dem fenster, was ihr nichts hilft, denn herr sonzag reicht nach fünf minuten erfolgloser säbelei sein messer zu frau sonzag rüber. der tisch ist zu lang und ausser frau sonzag versteht keiner seinen vortrag.
er versucht es erneut.
nachdem sich das brötchen entweder als unschneidbar (jetzt mal im ernst, wer isst sein brötchen messerschneidend?) erweist, oder aber das messer als untauglich, belegt er das brötchen mit kochschinken. schlimm genug.
nun versucht er das belegte brötchen mit dem messer zu schneiden, was erneut misslingt. er geht also dazu über, selbiges mit dem messer zu zerrupfen, denn frau sonzag ist nicht mehr bereit, seinen vorträgen über was auch immer zu lauschen und hat sich endgültig dem fenster zugewandt.
was ich selbst mit den fingern in mein mäulchen geschaufelt habe, weiß ich nicht mehr, denn ich war vielzusehr mit der frage beschäftigt, was in dem manne wohl vor sich geht.
mein zeitgefühl ist nach drei tagen feiern einfach futsch.
zumal die polente diesmal nicht kam (der nachbar, der sie gern ruft, soff sich durchs partyzelt)....
die party war so heiß, dass der himmel mit extremkälte gegensteuerte. die gäste voller feuer und sangeskraft, gelegentlich blitzt sonne hervor...
egal... ich muß erst mal ne woche schlafen.
man bemerke den brautstrauß, mit liebe von frau blütenstaub mit chilis, eufeu, paprika, johanneskraut, rosmarin und schokoladencosmeen geknüpft.
...wer jetzt u-tubed geht verloren... ich meine.... der verliert sein leben...
wir haben alles durchprobiert. vom headbanger, über entchen, lambada und gegröhle geht alles. auch die polizei kommt brav um halb eins.
na morgen wirds lustig, wenn erst mal die karaoke-anlage steht.
aber... ich bleib sowieso ich.
heute erhielt ich post aus italien. darinnen der letzte wille von ugo, der bereits vor vielen jahren starb.
ugo nannte seine vera immer fabio.
er – mein dritter großvater – der wagnerliebende kommunist und popenhasser, liebte die maler, die dichter und die musik. und er liebte vera. also die, die er fabio nannte.
meine erste liebe hieß auch fabio, aber da war ich erst fünf und ich weiß schon gar nicht mehr, wie er aussah. ich war so vernarrt in den großen fabio, dass ich fast seine kommunionsfeier mittels hysterischer wutanfälle und kleinmädchentränen zum platzen gebracht hätte, weil ich nicht neben ihm sitzen durfte. ich durfte dann aber doch. unserer liebe (oder vielleicht war es auch nur meine) hat dies jedoch nichts genutzt.
ugo hingegen, blieb sein ganzes leben mit vera, die das kaff am arno hasste, weil sie aus einem anderen kaff gegenüber, auf der anderen seite des arno, herrüber ziehen musste mit der hochzeit. sie machte die weltbesten carcioffi fritti und die universumsbesten bragiolini. vera liebte den papst, ugo die kommunisten und rosa luxenburg.
er schrieb einige bücher mit geschichten und gedichten und als es ans sterben ging, schrieb er fabio auf, woran sie bitte denken solle:
er wollte einfach schlicht in die erde und das unbedingt ohne priester.
auch sollte sie ihm die falschen beerdigungsbesucher fern halten und am besten jeden besucher seiner beerdigung durch schallplatten von mozart und rossini ersetzen.
sie solle das geld für redner und grabreden sparen, denn man würde nur von ihm als braven mann berichten und der sei er nicht gewesen.
er habe immer in seiner eigenen welt gelebt und diese mit seinen eigenen augen betrachtet. das wollte er nicht zerredet haben an seinem grab, nur wenn sie drauf bestünde…. er sei ja sowieso nicht mehr da und man solle ihn dann einfach in ruhe lassen.
auch um die blumen sei es zu schade
und einzig, er habe es so bedauert, dass er niemals mit der linken hand schreiben konnte.
oh mann, dachte eszther.... ich hock jetzt schon seit sieben wochen auf diesem boot.
das an sich wäre nicht schlimm. nur, weil das boot eine schuhschachtel ist, fühlt es sich nun merkwürdig an.
der deckel ist zu. die schuhschachtel grau. von außen sieht sie weiß aus, aber von innen ist sie grau.
drum fängt eszther das malen an. sie malt.... erst rot, dann braun, dann ocker. die farbe hat sie aus südfrance geklaut. von den rotbraunen bergen, die ebenso wie siena je nach tageszeit eine andere farbe annehmen. mal beige, mal glutrotbraun, mal ocker. das ist gut so. denn ausserhalb der schuhschachtel ist die luft milchig. weiß ist der tod. es lebe rot.
glücklicherweise findet sich in der schuhschachtel plötzlich und unvorhergesehen eine langspielplatte. sie heisst ezsther und ist ein echter headbanger.
seegang hat, kippt sie zur seite. dann wird sie zur unendlichkeit. davon wiederum träumte eszther. nun gut….. die sache mit der unendlichkeit war eine sache für sich, und eszther nahm den mund gern voll. zumindest aber träumte eszther davon, dass etwas bis zum lebensende halten möge…. nur so, aus good will, hoffnung, lore-roman und ewig-jugendlichem leichtsinn. letzteren hatte sie sich trotz vorgerückten alters bewahrt.
darum – also aufgrund ihrer uneinsichtigkeit in den zahn der zeit - hatte sie es im alter von 50 auf fünf ehen gebracht. und auf sieben frettchen. das war so ihre art. die frettchen waren treuer als eszther und gehorchten aufs wort. zumindest wenn estzer mit ihnen fertig war. die frettchen – so hatte estzher heraus gefunden – liebten leckerchen und schneewalzer, die ehemänner liebten mehr den tango. das wiederum lag jedoch daran, dass sie ihre männer gezielt in südamerikanischen gefilden gesucht und auch gefunden hatte. die glorreichen fünf – so nannte eszther sie insgeheim – hatten eines gemeinsam: sie kämpften sich die behaarten brustkörbe wund, um sie zur ehe zu bewegen. nach der eheschließung jedoch entwickelten sie sich - mal schnell, mal langsam – zu bierbäuchigen, trägen wahrheitsansagern. dies wiederum liebte eszther gar nicht und so gab es jedes mal streit, und manchmal flog porzellan und es endete immer gleich. es endete jedenfalls.
das letzte porzellan zerschlug armando in buenos aires, der stadt, die nebenbei bemerkt und tatsächlich die höchste psychotherapeutendichte der welt aufweist, nachdem eszther sich geweigert hatte, sein lieblings-t-shirt zu batiken. sie mochte den retro-hype einfach nicht und wollte auch nicht berücksichtigen, dass armando immerhin fünfzehn jahre jünger war als sie und batiken einfach anders schätzte als sie selbst.
so flog sie zurück nach deutschland und gönnte sich einen monat auf der vogelinsel in der nordsee, die von ihrem frühen studienfreund ole beaufsichtigt wurde.
ole war grau geworden und hatte zwei zähne weniger als noch mit achtzehn. auch ole hatte hatte einen bierbauch aber seine wahrheitsansagen waren anders. er konnte fünfzehn verschiedene vogelstimmen in der balz naturgleich nachahmen und er konnte an der farbe des meeres die aktienkurse treffsicher voraussagen, was er natürlich niemals ausgenutzt hätte.
so saß eszther auf seinem kleinen boot und fütterte die fische - was auf deutsch „kotzen“ heißt. sie übte verschiedene knoten – aber wirklich schlau war eszther auch nicht – und so blieb sie an dem achterknoten hängen. und an ole.
finden sich immer die menschen zusammen, die einander etwas zu sagen haben. vollkommen egal, ob auf hundewiesen, im virtuellen raum (ok…. auch wenn derzeit keiner was sagt) oder in städten, die es eigentlich nicht gibt (oder geben sollte). hier in schilda gibt es solche auch. Während ich plane, supermärkte zwecks getränkeeinkauf zu überfallen, flattert mir von fred eine italienische adresse für bioweine entgegen. und weil wir eh schon zwei stunden rehe gejagt haben, lässt er mich einen biosekt probieren (staubtrocken, schmeckt fast wie sand, ohne säure) und packt mir einen biologischen rotwein nebst nudeln und pomodori ein und die sache ist schon geritzt.
leider spielen die italiener nicht mit, denn sie haben natürlich im august vacanze und fahren mit un terzo kraft – sprich personal. sie hören sich um, sie fragen beim spediteur nach: nichts zu machen. servicewüste deutschland meets serviceparadiso italia, die versuchen es wenigstens anstatt einen wegzutexten. sie bedauern und ich kaufe halt ein anderes mal. derweil stapft fred durch die gänseblume, den ortsansässigen biosupermarkt und läd zu hormonfreiem lachs und einer auswahl an bioweinen. sie schmecken alle wunderbar – zumal ich sie auf nüchternen magen probiere.
am späten abend nudeln wir existenzielles durch: wie groß muss cimeks (sorry ich krieg die richtige schreibweise gerade nicht hin) empfundene schuld über den tod seines sohnes gewesen sein, dass er dessen witwe eines tages ehelichte. in nepal und anderen ländern werden ja auch gern witwen hinzu geheiratet.
„sag fred, warum hast du damals ines geheiratet?“ frage ich.
„weil ein mann der liebt, die frau heiraten muss und weil es ein ausdruck des respekts ihr gegenüber ist“ sagt fred.
wir lachen.
„ein mann, der eine frau nicht heiraten will, ist kein mann“ sprechen wir aus einem munde…
und ich weiß, dass er ein italiener, ein andalusier, ein romero ist. auch wenn er eigentlich aus koblenz kommt.
heinz liebt jetzt westfälisch. denn dort, so hat er es nach gründlicher recherche festgestellt, leben die damen seines alters mit den größten brüsten. seine heide, mit der er dreißig gemeinsame jahre verbracht hatte, war eine eher kleinbrüstige frau gewesen. aber mit einem großen herz. lange zeit war er über ihren verlust untröstlich gewesen.
so begann er zu reisen. heinz hatte sich ein neues auto gekauft und die familienkutsche seinem nachbarssohn geschenkt. mit seinem neuen auto fuhr er eines tages einfach von erfurt los und fand sich plötzlich in kassel wieder. das hatte er gar nicht geplant gehabt, aber er fand gefallen daran und meldete sich bei seinen kindern ab. heinz lief über die documenta, die er nur vom hörensagen kannte, denn kunst war seine sache eigentlich nicht. es gefielen ihm jedoch neben den merkwürdig anmutenden installationen vorwiegend all die frauen, die kunstbeflissen mit neugierigen blicken und offenem wesen, durch die ausstellung liefen. heinz ertappte sich erst nach zwei stunden dabei, dass er eigentlich vorwiegend ihre brüste betrachtete. irritiert stellte er fest, dass kunstinteressierte frauen selten bh’s trugen. das was da munter unter blusen, shirts und pullovern hopste, fand nicht immer sein gefallen, aber doch heinz’ interesse.
zunächst schalt er sich, dass er plötzlich da heide nicht mehr an seiner seite war, so verkommen war und schändliches tat. Am zweiten tag seines documentabesuchs jedoch hatte er schon mehr übung in schändlichem tun und tat nur noch so, als würde er die kunstobjekte betrachten. nach zwei stunden hatte er sich einfach auf der wiese niedergelassen und schaute ungeniert nach den frauen. erst jetzt fiel ihm auf, wie vielfältig sie in statur, frisur und mimik waren und welch vielfalt an brüsten sie trugen.
am dritten tag fuhr er von kassel richtung erfurt zurück, aber da er die ausfahrt verpasste landete er auf einer autobahn nach würzburg und fuhr einfach weiter. abends saß er im altmühltal in einem schönen biergarten und ließ sich von der kellnerin bier bringen, dass verheißungsvoll vor einem dirndldekollté schäumte. Sie, die kellnerin, war nicht mehr ganz jung und mit entzücken entdeckte heinz die kleinen fältchen und runzeln oberhalb des brustansatzes und zwischen den brüsten. er musste sie so oft betrachten, dass er völlig betrunken in sein pensionszimmer wankte und beschloss, sich noch einmal in seinem leben einer liebe zu widmen. als er sich in heide verliebt hatte damals, so aufgrund ihres herzhaften lachens und ihrer strahlenden augen. seine neue liebe wollte er einer frau mit großen brüsten schenken. dies, so dachte er, musste auch einstellungskriterium für bayrische kellnerinnen sein, denn alle die er auf seiner tour fand, waren besonders gut ausgestattet, jedoch meist zu jung für ihn. erst in starnberg bemerkte heinz, dass die besondere passform des dirndls auch den kleinsten busen mächtig erscheinen ließ, und so fuhr er enttäuscht weiter nach stuttgart. dort trug man meist hochgeschlossene blusen und versteckte die brüste, so dass es ihm schnell langweilig wurde und er weiter, gen frankfurt fuhr.
während heinz vor einem der hochhäuser ein eis lutschte sah er SIE. eine erscheinung. obwohl sie die sechzig bestimmt überschritten hatte, trug sie gestreifte hosen und ein t-shirt unter dem sich ein gewaltiger busen von perfekter form abzeichnete. sie musste einen bh tragen, wie man ihn bereits vor vierzig jahren trug: aus festem material, mit gesteppten festen nähten und breiten trägern in hautfarben.
wenige meter vor ihm an der straße blieb sie stehen, was er zunächst für ein zeichen hielt. jedoch bereits zwei minuten später stieg sie in ein paderborner auto ein, das am straßenrand hielt und war verschwunden. für heinz gab es kein halten. er checkte im hotel aus, bestieg sein neues auto und fuhr ohne umwege nach paderborn. diese kleine stadt, von der er noch nie wirklich etwas gehört hatte, war sein paradies. ältere lebenslustige und freundliche frauen liefen dort in solchen mengen herum wie japaner in frankfurt. sie hatten etwas frisches, zupackendes, geerdetes und so bezog er inmitten der altstadt position in einem straßencafé, welches vor einem miederwarengeschäft tische auf dem brunnenplatz aufgestellt hatte.
die auslagen des miederwarengeschäfts waren für heinz pure lust. nicht ein einziges modernes dessous zierte die schaufenster, sondern praktische wäsche für übergrößen. neben den haushaltskitteln lagen sie, die hautfarbenen großen bh’s, die ganzkörpermieder, die miederhöschen und unterröcke aus festem material, das zusammenhält und formt.
als sich in der mittagspause die inhaberin des ladens zu ihm an den tisch im straßencafé setzte, war es um heinz endgültig geschehen. seitdem liebt er westfälisch.
Hunde, sind unsere Verbindung zum Paradies. Mit einem Hund an einem herrlichen Nachmittag an einem Hang zu sitzen kommt dem Garten Eden gleich, wo Nichtstun nicht Langweile war - sondern Frieden. (Milan Kundera)