Bescheidenheit und Dankbarkeit

Als ich heute vom Seminar komme, erwartet mich eine Mail, die mich in Irritation und Hilflosigkeit versetzt.
Man fragt, ob ich nicht einen Beitrag zu einer Tagung einreiche, deren Grundthema, ein Thema ist, mit dem ich mich seit zwanzig Jahren beschäftige. Genau genommen, habe ich meinen späteren Doktorvater auf einer dieser jährlich stattfindenden Tagungen kennen gelernt, ihn ein paar Jahre beobachtet und dann den nächsten Schritt getan. Es waren fruchtbare Jahre, in denen ich fachlich und menschlich lernte und unsere Zusammenarbeit dauert bis heute - in Form eines Aufbaustudienganges - an. Leider ist er nun emeritiert und mir wird klar, dass meine wichtigen Vernetzungen älter werden.
Aber es geht nicht um die Vernetzungen, sondern um das gemeinsame Tun, Forschen, Lehren und Essen gehen. Ich empfinde tiefe Dankbarkeit, für das, was mir durch ältere, erfahrenere Kollegen zu Teil wurde.
Das Spezialthema eben dieser Tagung jedoch ist eines, zu dem ich absolut nichts zu sagen weiß.
Der Freiberufler, der sich seit zwanzig Jahren eben mit bestimmten wissenschaftlichen Theorien beschäftigt, krempelt die Ärmel hoch, sagt "ja" und fängt dann zu denken an.
Meine Restintelligenz sagt mir "bleib wer Du bist und fische nicht nach Lorbeeren, an die Du nicht heranreichst".
Erinnerungen kommen hoch, an eben die zwanzig Jahre, in denen ich Watzlawick begegnen durfte, Heinz von Foerster, Hermann Haken, Niklas Luhmann, Joseph Weizenbaum, Ernst von Glasersfeld, Siegfried Schmidt und anderen.
Ich bleibe im Zustand des Lernenden und sage ab.
oberansicht - 6. Jul, 23:42

.... da kommt mir doch einiges bekannt vor. vor allem der herr watzlawick ^^

rosmarin - 6. Jul, 23:45

yep.... klug, mit feinem europäischen humor und bauhaus-intelligenz in amerika überleben und berühmt werden, ist eine kunst für sich.
katiza - 7. Jul, 07:31

Und doch wohl ein schönes Kompliment die Mail, oder? Chapeau, Frau Rosmarin (auch in Hinblick auf Ihre letzten 20 Jahre). Dankbarkeit ist gut, aber ich habe den Verdacht, dass Sie ruhig ein bissl unbescheidener sein könnten.

profiler1 - 7. Jul, 08:00

der wahrhaftig gerechte adelt sich von selbst....
steppenhund - 7. Jul, 08:09

Zuerst erfasst mich einmal Neid, ( - obwohl ich alles sein kann nur nicht neidisch ) Wenn Sie die betreffenden Herrschaften wirklich pesönlich gekannt haben.
(Anmerkung: besonders leid tut es mir bei Luhmann, den häte ich gerne einmal live erlebt. Detto von Foerster. Bei Weizenbaum hatte ich vor 20 Jahren recht starke adversielle Gefühle und inhaltlich gebe ich ihm heute noch nicht recht. Aber im Alter wurde er mir immer sympathischer.)
Dann als nächstes ärgert mich das Versäumnis, nie nach dem Inhalt der Doktorarbeit gefragt zu haben. Das tu ich fast immer und selbst wenn mich eine Prinzessin S. müde anzwinkert, ist mir das nicht blunzenwurst.
Ich hatte Anfangs des Jahres eine ähnliche Erfahrung, obwohl mich der Trip nach Amerika in dem Fall sogar gereizt hätte. Ich traute mir nicht zu, etwas Entsprechendes beitragen zu können.
Bei den vier Mantras, die früher einmal meditativ unterstützt werden sollten, war Dankbarkeit eines davon. (Ruhe, Gesundheit, Dankbarkeit, Erfolg)
Dankbarkeit ist eine Kategorie für sich selbst. Für mich kommt sie in der Reihung gleich nach Gesundheit.
-
Nur die Bescheidenheit: die ist ein schwerer Hammer. Ich wäre so gern bescheiden. Es wäre auch leicht, sie angesichts der erwähnten Personen zu üben. Da kommen bei mir noch einige andere Wissenschaftler und Künstler dazu. Aber im "echten" Leben fällt es mir sehr schwer, Bescheidenheit zu entwickeln. Das artet dann in Überheblichkeit aus. Gestern gab es in den Nachrichten eine Diskussion zwischen der Vertreterin der Hochschülerschaft und dem Rektor der Wirtschaftsuni. Der will einführen, dass die Studenten erstmals 4 Prüfungen bestehen müssen, um weiterstudieren zu können. (Budgetknappheit, 1 Professor auf 320 Studierende)
Ich habe die Vertreterin der ÖH zwar als höflich empfunden, aber ihre Anwürfe waren trotzdem von der Art "etwas fordern, aber nicht wissen, wie es funktionieren soll". Also in der Art, in der Dilberts Vorgesetzte agieren.
Wenn ich denke, dass man sich von derlei distanzieren sollte, so falle ich in ein anderes Übel, nämlich Überheblichkeit.
Also finde ich mich damit ab, dass ich unbescheiden bin und denke im Geheimen, dass man Bescheidenheit an den ganz einfachen Menschen messen muss, die unter ungünstigsten Bedingungen ein Leben fristen und dabei noch lachen können.
Komischerweise fallen mir dabei aber nur Menschen aus der 3., 4., und 5. Welt ein. Und sehr alte Menschen, die schon einiges erlebt haben.
Einen Vortrag nicht zu halten, ist für mich selbst kein Indiz für Bescheidenheit, eher eins für Intelligenz. Aber die kommt in Ihrem Titel nicht vor;)

rosmarin - 9. Jul, 10:54

Sie haben vollkommen recht.
Bescheidenheit ist eine Größe, für die ich noch zu jung oder zu unreif bin.
Es war tatsächlich eher Intelligenz, abzusagen.
Echte Dummheit jedoch ist, wenn man seine Absage mit sovielen Konjunktiven füttert, dass Docvater die Absage als Zusage verstanden hat :-(
Jetzt muss die Mailerei also ins Telefonieren übergehen und ich muss schauen, wie ich aus der Nummer wieder raus komme.

Mein Doc-Thema war die Kultur virtueller Teams... dazu gerne mal mehr, wenn Sie sich endlich mal wieder dem Maindörfli nähern.... (oder wenn meine Österreichsehnsucht die Oberhand über die Vernunft gewinnt).

Ruhe, Gesundheit, Dankbarkeit, Erfolg.... ein wunderbares Mantra. Hab es schon ins Hirn eingetragen :-)
kittykoma - 7. Jul, 09:49

vielleicht ist es weibliche bescheidenheit zu unzeit, aber ich finde, sie ist eine zier.
wenn man nichts zu sagen weiß, hat der bauch das richtige signal gegeben.
nichts ist schlimmer, als vorträge, wo der referent große blasen redet, u zu verbergen, was für dünne bretter er aus mangelnder ambition bohrt.

kittykoma - 7. Jul, 09:50

und die lehrer... neid!
rosmarin - 9. Jul, 10:55

yep.... diese blasen finde ich auch unerträglich. sind nur als einschlafhilfe nützlich .... aber wer geht schon auf tagungen, um sich mal auszuschlafen?
datja - 7. Jul, 17:02

also...

ich denke, sie könnten das schon. weil sie viel können.
doch ist die atmosphäre und das umfeld anderes geworden, ach wie sehr ich das merke und kenne und manchmal bis oft darunter leide.
der wohlfühl-faktor sinkt dann rapide ab.
wodurch sich die schwingen des geistes nicht ausbreiten können, und statt sich - und andere - in vorher ungeahnte höhen zu tragen, hatscht alles am boden herum.
(haben sie schon mal einen adler zu fuss gesehen? ich traute meinen augen nicht und lachte tagelang.)

deshalb ich nicht-tun vielleicht die bessere entscheidung.

was mich aber erstaunt, ist die tatsache, dass sie dieses gefühl, ein fossil der aussterbenden art zu sein, kennen.
hielt ich dies doch für MEINE spezialität, und sie dagegen zu den jungen, die das erst kennenlernen werden, gehörig.
was jetzt? bin ich so ur-ur-ur-alt, oder ist man nur mehr bis 30 dabei? ich befürchte das letztere.
macht nix, unsereine(r) hat dafür die schöneren lachfalten und den besseren überblick wie mir scheint.

la-mamma - 7. Jul, 17:11

ich glaub dir nicht!;-)

"die tragik des älterwerdens ist, dass man nicht mehr von seinesgleichen beurteilt wird" ... ungefähr so lt. goethe.

euch beide hätte ich aber unter "also, das stört mich am wenigsten" eingeordnet ...
rosmarin - 9. Jul, 10:56

jö ja stimmt schon....
meistens stört es nicht, wenn man ein fossil ist.
wobei man ist es ja nicht.
man muss nur nach den anderen netten fossilen suchen und die gibt's ja tatsächlich auch :-)
la-mamma - 7. Jul, 17:09

die liste

der dir bekannten ist ja ein hammer! (sehr salopp ausgedrückt;-))
und - verrätst du die themen oder ist das zu persönlich? ich bin ja da gar nicht die erste interessentin.

rosmarin - 9. Jul, 10:57

welche themen meinst du?
die der tagung?
datja - 9. Jul, 15:56

@ la mamma

der unterschied zwischen beurteilen und belehren ist eklatant !
;)

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