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tja….…. so ist das, wenn ein Traum sich erfüllt. Genau genommen hat sich einer von zwei großen Träumen erfüllt.
Für den einen Traum haben hier so manche die Daumen gedrückt, obwohl ich nicht veröffentlicht hatte (im April), worum es ging. Nun es ging um ein Professorencasting, zu dem ich eingeladen war. Üblicherweise werden fünf eingeladen und der eine, erhält den Ruf. Wenn er den Ruf nicht annimmt, so wird Nr. 2 berufen undsoweiter.
Mein Castingtermin (1 Vorlesung in Deutsch, 1 Vorlesung in Englisch und 1 Gespräch mit der gesamten Berufungskommission) ist super gelaufen. Und dennoch bin ich auf Platz 2 gelandet. Das ist sehr schmeichelhaft für mich und sehr schade zugleich, denn Nr. 1 hat den Ruf angenommen. Soviel zu den Wünschen, die nicht in Erfüllung gingen. Viele weitere Castings dieser Art werde ich aus Altersgründen nicht bekommen und der Ort der Hochschule (direkt am Meer) würde auch nicht mehr so g’scheit ausfallen. Ich bleibe also was ich immer war: selbständig & zigeunernd. Ehrlich gesagt, war es Teil des Wunsches, ein etwas ruhigeres Leben zu führen, aber dies hat das Universum für mich offenbar nicht vorgesehen.
Dafür haben sich zwei andere Wünsche erfüllt: Der eine Wunsch war mein Alternativwunsch zum Professorencasting. Wenn das nicht klappt, wollte ich mich mehr internationalisieren. Und yesssss….. Austria, Schwyz und London stehen in Aussicht.
Der andere Wunsch ist einer, den ich seit vielen Jahren hege und der auch etwas mit Wasser, Natur und Absicherung zu tun hat. Yesssssssssssssss……!!!!
Diese Wunscherfüllung allerdings hat den Preis, dass ich die nächsten fünfzehn Jahre verschuldet sein werde und dass ich mein frankfurter Domizil opfern werde für meine neue Mitte.
Darum ist heute ein besonderer Tag der Rückkehr. Aus dem Osten Deutschlands kommend, wo ich drei Tage mit den phantastischsten Aufbaustudenten der Republik verbringen durfte, stehe ich beim Umstieg in Weimar eine halbe Stunde auf dem sonnenüberfluteten Bahnsteig. Die Bahn macht lustige Ansagen. Mal hat er 10 Min. Verspätung, mal 20 Min., dann wieder 15 Min. und letztlich formulierte 20, die eigentlich 30 Min. sind. Dazwischen fordert man uns auf, nur innerhalb des gelben Quadrats (2x2m) zu rauchen und unser Gepäck nicht unbeaufsichtigt zu lassen. Wenig lustig. Ich schätze ja ein offenes Wort und hätte lieber von dem Selbstmörder auf der Strecke gehört, auch wenn dies zugegebenermaßen ebenso wenig lustig gewesen wäre.
Im Zug lauter aufgebrachte Menschen und an meinem Tisch ein Trio bestehend aus Vati, Mutti & Sohn (36), die ungerührt stundenlang Karten spielen. Wortlos, versteht sich. Vati hat einen solchen Mundgeruch, dass ich mich ins Koma rette und glücklicherweise steigen sie in Fulda aus.
Ein kräftiger Kerl im feinen Zwirn setzt sich an meinen Tisch und beginnt sogleich mit seinen Telefonaten. Erst ruft er die Gattin an und bespricht mit ihr dringliche Universitäts- und Internatsfragen die Kinder betreffend – auf italienisch. Seine Stimme haut mich total um. Ich schließe die Augen und lausche seinem Timbre. Was für ein Mann. Wie der mit seiner Frau spricht! Man möchte den Rock herabgleiten lassen. Die Frau ist offenbar aufgeregt, denn mit seiner unglaublichen Stimme raunzt er ihr zärtlich im italienischen Singsang zu, dass er eine Stunde früher morgen aufstehe, um sich mit ihr in Ruhe zu besprechen, zu den anstehenden Fragen.
Ich erlange meine Fassung zurück, indem ich mir sage, dass er Italiener sei und…. schwups…. telefoniert er mit der Nebenfrau…. im gleichen Timbre…. versteht sich. Vermutlich sind beide Damen blind und können einfach gut hören, denn schön ist er nicht.
Wiedermal bin ich froh, dass ich zweisprachig aufwuchs und man mir das nicht ansieht. Und wiedermal bin ich froh, um das phantastische Leben, das ich mit dem einzigartigen Herrn Ro führen darf.
Wir nähern uns dem Maindörfli und selbst der Italiener zuckt, neben vielen anderen, das Handy, um die unvergleichbare Skyline zu photografieren. Ein kleines Mädchen meint, die rießigen Häuser seien schief. Sie meint unsere neueste Errungenschaft, das in Bau befindliche Hochhaus der europäischen Zentralbank. Mir wird schwer ums Herz und ich lande sanft in dem gewohnten Gemisch aus Asphalt, Multikulti und Geldtürmen. „Zu Hause“ empfängt mich der Blick auf den Fluss und eine Demonstration von Ravern gegen das Kulturdiktat der GEMA.
Die Diskotheken und Musikkneipen der Stadt haben geladen und viele, wirklich viele, junge Menschen sind der Einladung gefolgt. Sie folgen tanzend den Rave-Wagen, die sich durch die Innenstadt über den Main schlängeln. Kernige Kerle erklimmen Baufahrzeuge, goldige Girls vollführen Balztänze, Attacker halten lustige Masken bereit und Stelzenläufer machen Seifenblasen. Der mitgeführte Knastwagen der begleitenden Polizei ist leer.
Sie könnten meine Kinder sein und ich freue mich über jeden jungen Menschen, der noch demonstriert und so viel Spaß dabei hat (wie wir zugegebenermaßen auch ganz ohne Rave, damals auch).
Mit etwas Wehmut, einem Glas Wein und einer Zigarette stehe ich am offenen Fenster und freu mich über offene und andere Wünsche.
Morgen darf ich im 22. Stock eines der Geldtürme coachen und werde am Sonntag das Köfferchen für Süddeutschland packen. Bei meiner Rückkehr werde ich mit etwas Wehmut, einem Glas Wein und einer Zigarette am offenen Fenster stehen und mich auf meine Rückkehr in den Teuto freuen.
